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Bidirektionale Wärmeverteilung im Chemiepark Marl

Der Chemiepark Marl stellt den größten Produktionsstandort von Evonik mit circa 100 Produktionsanlagen dar. 65 Einzelanlagen auf dem Gelände sind mittels eines ringförmigen 2-Leiter-Netzes wärmetechnisch erschlossen.

Dabei handelt es sich nicht um eine klassische Wärmeversorgung mit bedarfsgesteuerter, zentraler Erzeugung, wie sie aus der kommunalen Heizwärmeversorgung bekannt ist.

Viel mehr betreibt Evonik ein bidirektionales Wärmeverteilsystem, welches zum einen Abwärme aus vorwiegend petrochemischen Prozessabläufen aufnimmt und zum anderen Prozess- und Heizwärme bereitstellt.

Über Bilanzmodule werden Differenzen zwischen Wärmeerzeugung und Wärmebedarf ausgeglichen.

Sowohl Weiterentwicklungen und Umbauten bestehender Anlagen wie auch der Standortausbau bedingen klare Erkenntnisse über die hydraulische und thermische Auslastung des Wärmeverteilsystems, um

  • Engpässe identifizieren
  • Netz- und Anlagenbetrieb optimieren
  • freie Kapazitäten ausweisen
  • Netzausbau kostenoptimiert planen
zu können.

Hierzu hat RZVN in Zusammenarbeit mit Evonik ein Simulationsmodell auf Basis von GIS-, Betriebs- Kunden- und Verbrauchsdaten im Rechennetzprogramm ROKA³ erstellt und mittels vergleichender Netzmessungen kalibriert. Die besondere Herausforderung hierbei bestand in der möglichst exakten Darstellung der Netzstruktur wie auch in der Abbildung der volatilen Betriebsweise, bedingt durch die „bunt gemischte“ Verteilung von Wärmeeinspeisern und Wärmeabnehmern.

Die Besonderheiten bei der Netzabbildung lagen vor allem bei

  • der exakten Höhendarstellung mit unterschiedlichen Leitungslagen (unterirdisch, auf Rohrbrücken, in Zugängen zu mehrstöckigen Kundenanlagen, nivellierte Mess-stellen)
  • der Netzdetaillierung im Anlagenumfeld
  • der Berücksichtigung von Zusatzwiderständen durch Einbauteile
  • der Abbildung unterschiedlicher Wärmeverlustfaktoren (Verlegung unterirdisch und auf Rohrbrücken, verschiedene Leitungsmaterialien und Dämmstufen, winterliche und sommerliche Einflussfaktoren

Die Identifizierung der hydraulisch prägnanten Betriebssituationen stellte aufgrund der Heterogenität der Wärmeabnehmer und –einspeiser eine besondere Herausforderung dar. Der reine Abgleich von Außentemperaturen und Wärmebedarf bzw. –erzeugung führte hierbei nicht zum Ziel.

Erst nach Erstellung der Jahresganglinie für jeden einzelnen Anlagenanschluss und Klassifizierung der Wärmeabnehmer und –einspeiser war es möglich, die real aufgetretenen Betriebssituationen auf die Betriebszustände auszudünnen, die zu den höchsten hydraulischen Netzbelastungen führen.

Zusätzlich wurden die Betriebsaufzeichnungen der Bilanzmodule für den Ausgleich von Wärmeerzeugung und Wärmebedarf ausgewertet und die tatsächlichen Betriebsganglinien für ein Jahr in kleinstmöglichem Zeitraster im Rechennetzmodell nachgebildet.

Dabei stellen weniger die absoluten thermischen Spitzenlasten, sondern vielmehr die ungünstigsten Verhältnisse von Wärmeleistung zu Transportweg die Betriebszustände mit höchster Netzlast dar.

Auf diesem Wege wurde die Netzhydraulik in Bezug auf das Abnehmer- und Einspeiserverhalten für beliebige Zustände detailliert abgebildet und beurteilt. Dabei ist das Rechennetzprogramm ROKA³ performant genug, Tausende von Einzelberechnungen innerhalb weniger Minuten durchzuführen.

Für jede Netzvariante und jeden gerechneten Betriebsfall lassen sich die detaillierten Einzelergebnisse auswerten. Darstellen und vergleichen. Mittels Einfärbung aller Netzobjekte nach beliebigen Attributen und Rechenergebnissen lassen sich frei definierbare Grenzwertverletzungen gut visualisieren.

Schon die Auswertung und Darstellung noch verfügbarer oder auch nicht mehr verfügbarer Anschlusskapazitäten im Istzustand hat zu höchst interessanten Ergebnissen geführt.

Damit wurde die Daten- und Informationsbasis in Form eines aktuellen und kalibrierten Rechennetzmodells geschaffen, welches den netztechnischen Istzustand nahezu 100%ig darstellt. Im folgenden Schritt wird dieses Netzmodell genutzt, um beliebige Anschlussszenarien auf ihre Machbarkeit hin zu untersuchen, notwendige Netz- und Anlagenmaßnahmen abzuleiten und zu dimensionieren sowie Planspiele (Verlustoptimierung, Störfallbeherrschung usw.) durchzuführen.